Stressbewältigung und verhaltenstherapeutische Behandlungstechniken
Die meisten Behandlungsangebote bei Stress und Burnout zielen auf eine Verbesserung der Stressbewältigung. Hierzu werden fast ausnahmslos verhaltenstherapeutische Behandlungstechniken wie Stressmanagement, Achtsamkeit, Zeitmanagement, kognitive Therapie oder problemorientiertes bzw. emotionsorientiertes Coping eingesetzt. Letztlich wird bei all diesen Angeboten meist unausgesprochen davon ausgegangen, dass sich die äußere Belastung ohnehin nicht reduzieren lässt und deshalb die Veränderung bei der gestressten Person zu erfolgen hat. Dieses stark individualisierte Stressverständnis entspricht dem heutigen gesellschaftlichen Mainstream, ist so aber keineswegs selbstverständlich.
Prof. Lennart Levi war in den 70er-Jahren ein sehr bekannter schwedischer Stressforscher. Er versuchte an den Rahmenbedingungen anzusetzen um die Stressbelastung zu reduzieren: “Die Gesellschaft muss sich systematisch an das Individuum, an dessen biologisch begründeten psychischen und körperlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse anpassen und nicht nur die ständige Forderung an das Individuum erheben, sich an ein immer komplizierteres und an Stressfaktoren reicheres Gemeinwesen anzugleichen.” Mit diesem Stressverständnis verbindet sich auch eine Kritik an einer rein psychologischen Perspektive auf Stress, die tendenziell das Stresserleben und die Verantwortung für die damit in Verbindung gebrachten Störungen des Wohlbefindens oder Krankheiten allein dem Individuum zuschreibt. (Patrick Kury: Der überforderte Mensch. S. 106)
Heute ist jedoch genau das passiert. Der Arbeitsstress wird meist einfach als “gegeben” hingenommen. Der Umgang mit dem Stress wird damit an den Betroffenen “delegiert”. Dies gilt selbst bei den unmöglichsten Arbeitsbedingungen. So wurde ein Bank-Manager von seinem Arbeitgeber an uns verwiesen da er u.a. wegen massiven Schlafstörungen nicht mehr arbeiten konnte. Der Manager hatte immer wieder internationale Online-Konferenzen mitten in der Nacht und konnte danach nicht mehr einschlafen. Der Mitarbeiter sollte nach dem Willen des Unternehmens an seiner Stressbewältigung und seiner “Resilienz” arbeiten damit er die an ihn gestellten Anforderungen wieder meistern kann. Lennart Levi hätte hier wohl den Zeitpunkt der Konferenz verlegt. In der Stressbewältigung geht es aber – schon allein dem Wort nach – nicht darum die Überlastungssituation zu beenden, sondern mit der vorhandenen Belastung anders umzugehen.
Dieses “moderne” Verständnis von Stress hat erhebliche Auswirkungen auf den therapeutischen Ansatz.
Ein Beispiel: Ein Fließbandarbeiter kommt zunehmend unter Stress da er ohnehin schon schnell arbeitet, das Fließband von Tag zu Tag aber schneller gestellt wird, ihm hierdurch zunehmend Fehler unterlaufen, er sich hierdurch schlecht fühlt, nicht mehr gerne zur Arbeit geht, über die Möglichkeit eines anderen Jobs nachgrübelt und sich auch darum sorgt, dass die Fehler auffallen und er zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Die üblichen Angebote zur Stressbewältigung würden jetzt an dem Arbeiter ansetzen. Er könnte die Situation so akzeptieren wie sie ist und diese nicht bewerten, er könnte die Situation nicht als Ärgernis sondern als Herausforderung begreifen, sich zwischen den Arbeitsphasen entspannen, mit Fehlern leben lernen, die Fehler an sich selbst akzeptieren, die Ansprüche an die eigene Person senken, nicht mehr grübeln und als Ausgleich für den frustrierenden Beruf Zufriedenheitserlebnisse im Privatleben suchen. Das mag im Fall des beschriebenen Fließbandarbeiters fast schon zynisch klingen, dennoch arbeiten – bei genauerer Betrachtung – fast alle Angebote zur Stressbewältigung in diesem Modus.
Letztlich geht es in der Stressbewältigung um eine Anpassung an offensichtlich als unveränderlich vorausgesetzte Arbeitsbedingungen. Wenn man noch den Hintergrund bedenkt, dass aufgrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen „das Fließband“ mit der Zeit immer schneller laufen muss, dann zeigt sich an dem Beispiel auch wie systemimmanente, strukturelle Missstände „wegindividualisiert“ werden können (Andreas Hillert, Miachel Marwitz: Die Burnout-Epidemie. München, 2006, S.251 und Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Frankfurt am Main 1986, S. 149).
Video von Prof. Hartmut Rosa: Achtsamkeit und Selbstbezogenheit – Kritischer Blick auf einen Trend. Vortrag vom 27.10.2016 (Direkter Bezug auf Achtsamkeit ab der 40. Minute)
Stressreduktion
Die Stressreduktion hat hingegen das Ziel, vorhandenen Stress nicht nur besser zu bewältigen, sondern tatsächlich abzubauen. Dabei gehört natürlich auch die Verbesserung der Stressbewältigung zu einer erfolgreichen Stressreduktion. Eine erfolgreiche Stressreduktion geht aber deutlich darüber hinaus. Stress entsteht durch eine Fehlpassung zwischen dem Individuum und seiner Umgebung. Diese Fehlpassung kann – wie in dem obigen Beispiel – nur die Quantität im Sinne der Arbeitsmenge betreffen, sie kann aber auch die Qualität der Arbeit oder die gesamten Rahmenbedingungen betreffen. Man spricht hier auch von „Person-Environment-Misfit“ (Konzept geht zurück auf Kurt Lewin und Henry Murray).
„Man kann sich einen Person-Environment-Misfit wie ein schlecht sitzendes Kleidungsstück vorstellen, das einerseits spannt und kneift, andererseits sensible Körperpartien ungeschützt lässt.“ (Matthias Burisch: Das Burnout-Syndrom. 5. Auflage. Heidelberg 2014, S. 94.)
Ziel einer erfolgreichen Stressreduktion ist deshalb, die Passung zwischen Person und Umwelt zu verbessern wodurch die Stressbelastung sinkt. Im besten Fall entsteht hierdurch ein „Maßanzug“.
In dem Beispiel des Arbeiters könnte also sowohl der Stress durch den Arbeiter besser bewältigt werden als auch die Geschwindigkeit des Fließbandes reduziert werden. Dabei ist die Macht des Arbeiters über die Geschwindigkeit des Fließbandes mit den richtigen strategischen Kniffen möglicherweise deutlich höher als er denkt. Falls dies tatsächlich nicht geht, könnte der Arbeiter auch über einen Arbeitsplatzwechsel nachdenken. Dabei würde es aber nicht darum gehen, nur gedanklich um das Problem zu kreisen, sondern tatsächlich das Problem zu lösen. Ziel wäre es letztlich – auf welchem Weg auch immer – die Passung zwischen dem Fließbandarbeiter und seinem Arbeitsplatz zu verbessern und so den Stress nachhaltig zu reduzieren. Das Mismatch kann natürlich genauso im privaten Bereich sein oder private und berufliche Passungsschwierigkeiten können miteinander in Wechselwirkung stehen.
Natürlich hat ein Fließbandarbeiter üblicherweise weniger Handlungsmacht über seine Arbeitsbedingungen als ein CEO, ein Unternehmer oder ein Selbstständiger. Interessanterweise setzen die Programme zur Stressbewältigung aber auch bei CEOs, Unternehmern und Selbstständigen regelhaft an der Stressbewältigung und nicht an der Stressreduktion an.
Stressreduktion durch Verbesserung der Passung setzt letztlich deutlich umfassender an der Stressbelastung an als die üblichen Angebote zur Verbesserung der Stressbewältigung. Dabei sind sämtliche Maßnahmen zur Verbesserung der Stressbewältigung auch Teil einer erfolgreichen Stressreduktion.
Stressbewältigung durch Verhaltenstherapie
Fast alle Angebote zur Stressbewältigung in Coaching und Psychotherapie beziehen sich auf Konzepte und Maßnahmen der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei ist die Verhaltenstherapie üblicherweise darauf ausgerichtet, eine bestimmte Zielsetzung zu erreichen wobei die verwendeten Mittel und Techniken meist pragmatisch eingesetzt werden. Dabei arbeitet die Verhaltenstherapie mit Psychoedukation, der Veränderung stressauslösender Gedanken, Problemlösetraining, Achtsamkeit oder dem Erlernen von Entspannungsverfahren. Mit diesen Mitteln kann die Stressbewältigung oft wirksam verbessert werden.
Stressbewältigung durch psychodynamische Therapie
Die psychodynamische Therapie zielt eher auf Selbsterkenntnis und Zufriedenheit als auf das Erreichen bestimmter Zielsetzungen. Deshalb passt die psychodynamische Therapie auch oft nicht zu der recht funktionalen Zielsetzung von Menschen welche eine Verbesserung der Stressbewältigung wünschen. In der psychodynamischen Therapie geht es nicht darum mit allen Mitteln ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern eher darum, sich selbst besser kennen zu lernen und dabei auch die Frage zu stellen was einen selbst antreibt, wo man hin will und ob man dieses Ziel überhaupt erreichen will. Die psychodynamische Therapie zielt also eher auf den Sinn als auf die Funktion.
Stress abbauen – Was tun?
In unserer Praxis für Psychotherapie in München erfolgt im ersten Schritt eine sorgfältige diagnostische Abklärung Ihrer Beschwerden. Im nächsten Schritt klären wir gemeinsam das in Ihrem Fall passende Verfahren und geben dabei auch eine klare fachärztliche Empfehlung. Diese Vorgehensweise sorgt für bestmögliche Behandlungserfolge und erspart Ihnen unnötige Zeit und unnötigen Stress. In der Psychotherapie arbeiten wir grundsätzlich im Verfahren der psychodynamischen Therapie. Im Bedarfsfall kann der Heilungsprozess durch eine sorgsam ausgewählte Medikation unterstützt werden.
Beim Wunsch nach einer Terminvereinbarung verwenden Sie bitte unser Kontaktformular.